Der größte Lustkiller ist häufig weder Stress noch Alkohol. Laut Coach und Therapeut Volker Schmidt führt häufig fehlende Selbstliebe und Selbsterfahrung zum Verlust der Libido (des Mannes).

Teil 1 – Männliche Lust, weibliche Lust

Teil 2 – Lust-Killer: Stress und Liebeskonflikte

Teil 3 – Lust-Booster: Selbstliebe und Selbsterfahrung

Bisher haben wir uns vor allem den Lust-Killern im Außen gewidmet. Jetzt richten wir unseren Blick nach innen. Es geht um unsere Beziehung zu uns selbst. Lieber Volker, welche Rolle spielt unsere Beziehung zu uns selbst in Sachen Lust auf Sex?

Eine ganz zentrale und das in mehrerlei Hinsicht. Das beginnt allein schon damit, dass unfassbar viele Menschen in unserer Kultur ein gestörtes Verhältnis zu ihrem eigenen Körper haben. Wie viel Glück aber kann uns ein Körper bescheren, den wir insgeheim oder offensichtlich ablehnen?

Scham als Lustkiller

Vor allem Frauen werden kulturell noch immer stark an körperlichen Attributen gemessen. Die meisten Frauen aber entsprechen nicht den medial suggerierten Idealmaßen…

Körperscham spielt auch bei Männern mehr und mehr eine Rolle. In beiden Fällen gilt: Wer sich für seinen Körper schämt, der oder die strahlt auch genau das aus. Wer seinen eigenen Körper bewusst oder unbewusst ablehnt, verspürt naturgemäß wenig Lust, diesen nackt und ungeschützt vor einem anderen Menschen zu zeigen oder sich berühren zu lassen.

Viele von uns haben während ihrer Kindheit sehr unangenehme Erfahrungen mit Beschämung gemacht. Derart unangenehm, dass sie ihr gesamtes erwachsenes Leben lang bestrebt sind, jegliche Situation zu meiden, in der sie konfrontiert sind mit ihrer eigenen Unvollkommenheit.

Guter Sex ist aber geradezu das Gegenteil von steriler Hochglanz-Perfektion, sondern hochintensiv, impulsiv, emotional und unkontrolliert. Wer aus seiner Kindheit ein Grundsatzthema mit Scham oder Selbstablehnung mitgebracht hat, für den oder die erzeugt der Gedanke an Sex möglicherweise eher Abwehr als Vorfreude.

Selbstliebe als Lust-Booster

Lass uns mehr über Selbstliebe reden…

Aus meiner Sicht sind wir geradezu mitten im Thema. Selbstliebe bedeutet schließlich nicht, dass wir uns selbst über alle Maßen toll finden, sondern dass wir bereit sind, uns selbst in all dem anzunehmen, was wir sind und wie wir sind. Mit unserer ur-menschlichen Unvollkommenheit und all unseren frühkindlich entstandenen Reiz-Reaktions-Mustern.

Selbstliebe, echte Selbstliebe, setzt immer auch Selbst-Bewusstheit voraus. Das habe ich auch genauso erfahren.

In meinen Augen ist Selbstliebe mehr als nur eine Entscheidung. Sie ist das Ergebnis eines Weges, den wir gehen. Dieser Weg beginnt mit dem Mut zu entschlossener und bewusster Selbstkonfrontation.

Es ist wie in jeder bedeutsamen Freundschaft. Je tiefer und aufrichtiger wir diesen Menschen kennenlernen, desto tiefer, bedeutsamer und auch belastbarer wird auch unsere Beziehung zueinander. Dies wiederum veranlasst uns dazu, uns nach und nach immer weiter zu öffnen.

Diese Wechselwirkung gilt auch bei der inneren Arbeit. 

Selbstliebe und Sexualität

Du sprichst von der Vorstellung unserer Psyche als Plural.

Ich lade meine Klient:innen gerne dazu ein, sich in emotional herausfordernden Situationen vorzustellen, sie könnten jenen Teil von sich selbst, der gerade mit starken Emotionen reagiert, bildlich vor sich sehen. Was würden sie fühlen, wenn sie diese (höchstwahrscheinlich) jüngere Version von sich leibhaftig vor sich sähen? Wonach genau sehnt sich dieser Mensch?

Viele von uns tragen in sich psychologisch hochwirksame Selbstverpflichtungen oder Selbstverbote, die zu einer bestimmten Zeit einmal überlebensnotwendig erschienen oder gar waren, seither jedoch niemals wieder unter Revision gestellt wurden.

Was macht das mit unserer Sexualität?

Nicht gerade wenig. Der Flow erotischer Lust ist ein unkontrollierbarer Tanz höchst intensiver körperlicher wie emotionaler Erfahrungen. Es klingt ein bisschen verrückt, aber manche Menschen haben vor allen Dingen deswegen eine gewisse Scheu vor Sex, weil die Gefühle, die sie dabei fühlen würden, so intensiv gut sind, dass ihre Psyche unter all dieser Wonne zu kollabieren droht.

Emotionen als Kompass für Selbstliebe

Ich weiß, was du meinst. Viele Menschen verstehen nicht, dass es die Ekstase nicht ohne den Kontrollverlust gibt.

Sex konfrontiert uns mit intensiven, aufwühlenden Gefühlen, die uns emotional öffnen und dadurch ebenso berührbar wie verletzlich machen. Für manche Menschen ist es interessanterweise genau dies, was sie am gemeinsamen Lustflow genießen. Anderen bereitet allein der Gedanke an die Stärke ihrer eigenen Gefühle (oder aber die ihrer Liebespartner:innen) beim Sex unterbewusst dermaßen Angst, dass sie intuitiv dazu neigen, alles zu tun, um diese Art von Erfahrungen zu vermeiden.

Was passiert, wenn das Kennenlernen gelingt?

Uns zu öffnen und über unsere bisherigen Grenzen hinauszuwachsen ist, insbesondere in etwas so Intimen wie unserer Sexualität, für jede und jeden von uns mit ebenso starken Sehnsüchten wie Ängsten verbunden. Uns in diesem emotional hochintensiven Prozess von einem uns wohlwollend liebenden Menschen gehalten und bezeugt zu fühlen, kann einen zutiefst heilsamen Effekt haben auf unseren Umgang mit uns selbst, mit wichtigen Beziehungspartnern und sogar mit dem Leben an sich.

Masturbation als gelebte Selbstliebe

Nun kann sich eine lebendige und frische Liebesbeziehung, wie wir im zweiten Teil dieses Interviews besprachen, zwar durchaus als ein Lust-Booster auswirken. Was aber kann ich tun, wenn es in meinem Leben keinen Liebespartner:in gibt. Oder zumindest keinen solchen?

Dies sind Phasen in unserem Leben, in denen wir die Gelegenheit bekommen, uns selbst und unser Innenleben sehr intensiv kennenzulernen. Denn Solo-Zeiten bedeutet nicht, dass wir uns selbst keine Lustgefühle bereiten könnten.

Masturbation als gelebte Selbstliebe!?

Zunächst einmal Masturbation als eine willkommene Gelegenheit zu wirklich aufrichtiger Selbstbegegnung. Wenn wir uns selbst erlauben, unserem Unterbewusstsein im Zustand erotischer Lust wahrhaft unzensiert zu lauschen, erfahren wir eine Menge über uns selbst, und darüber, was uns Lust bereitet. 

Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen unseren Fähigkeiten darin, uns selbst Lust zu bereiten, und unseren Qualitäten als Liebhaber:in im Umgang mit anderen Menschen.

Fazit zur Sexualität

Hast du zum Abschluss unseres Gesprächs über die Lust an der Lust noch einen pointierten Tipp für unsere Leser:innen? Wenn ich als Mann oder auch als Frau gerne meine eigene Libido stärken oder festigen möchte, was würdest du mir dafür mitgeben wollen?

In meinem Bild des Menschen sind wir alle, ohne Ausnahme, zutiefst sinnliche und sexuelle Wesen. Nur hat man leider vielen von uns beigebracht, die Lust oder das, was sie mit sich bringt, zu fürchten. Unsere in Kindertagen verankerten Ängste – vor Scham, vor Verletzlichkeit, vor Liebes- oder vor Kontrollverlust – stehen uns heute als Schwellenhüterinnen im Weg.

Alles, was es von uns braucht, um an den Schwellenhüterinnen vorbeizukommen, besteht darin, dass wir ihnen ebenso aufrichtig wie entschlossen in die Augen schauen. Nur so lange, bis sie blinzeln. In diesem Augenblick ist der Weg für uns frei.

Du verstehst, was ich meine, oder…?!

Absolut! Vielen Dank, lieber Volker!

Es war mir eine Freude und Ehre zugleich!