Was ist Polyamorie und was ist in einer polyamoren Beziehung anders als in einer monogamen: Lies‘ hier, wie eine offene Beziehung gelingen kann.
Eine polyamore Beziehung – was ist das?
Polyamorie, Polygamie, offene Beziehung, freie Liebe, quasi-monogam… Das Spektrum an Beziehungskonzepten ist in den letzten Jahren immer größer geworden. Gefühlt kommen ständig neue Begriffe und Abstufungen hinzu, jede Woche gibt es einen neuen Trend in Sachen Liebe. Einer der Begriffe, der sich mittlerweile durchgesetzt und von immer mehr Menschen praktiziert wird, ist Polyamorie.
Laut Wikipedia bezeichnet Polyamorie „eine Form des Liebeslebens, bei der eine Person mehrere Partner:innen liebt und zu jedem Einzelnen eine Liebesbeziehung pflegt, wobei diese Tatsache allen Beteiligten bekannt ist und einvernehmlich gelebt wird.”
In den meisten Teilen der Welt, auch und besonders hier in Europa, gilt jedoch die Monogamie als einzig wahre, weil stabile Form von Liebesbeziehung. Bemerkenswert jedoch ist, dass das, was wir heute unter Monogamie verstehen, nämlich die absolute Treue zu nur einer Person auf emotionaler, sexueller und sozialer Ebene gleichermaßen erst seit dem 19. Jahrhundert existiert.
Polyamorie ist mehr als Polygamie
Das Wort „Monogamie” bezieht sich streng genommen auf die Ehe mit nur einer Person, während „Polygamie” die Ehe mit mehreren Menschen meint. Der Begriff Polyamorie hat sich dementsprechend als Abgrenzung zur Polygamie gebildet und meint neben der sexuellen Komponente auch die emotionale und manchmal auch soziale Komponente mit. Der ebenfalls existierende Begriff „Monoamorie” hingegen hat sich bisher nicht etablieren können.
Was unterscheidet Polyamorie von anderen nicht-monogamen Beziehungen?
Nun gut, Polyamorie ist also das Gegenteil von monogam. Was ist denn nun der Unterschied zu anderen Formen nicht-monogamer Liebe? Dazu betrachten wir noch einmal die drei Ebenen sexuelle, emotionale und soziale Treue. Während bei den ersten beiden klar ist, was gemeint ist, meint Letztere, wie die Beziehung in der Gesellschaft präsentiert wird, mit wem man gemeinsam Verträge abschließt, ein Haus kauft und wen man bei Einladungen als „Plus Eins” mitnimmt. Bei der sozialen Treue geht es also darum, wer zu einem gehört.
Sexuelle, emotionale und soziale Treue
Die meisten monogam lebenden Menschen unterscheiden nicht zwischen diesen drei Ebenen, nicht-monogam lebende Menschen jedoch schon. Da gibt es zum Beispiel die offene Beziehung. In der Regel sieht das Konzept vor, dass sich zwei Menschen emotional und sozial treu sind, sexuell jedoch auch mit anderen verkehren. Polyamorie jedoch geht einen Schritt weiter. Wir erinnern uns an die Definition von Wikipedia, in der von „Liebesbeziehungen” die Rede ist. Es geht also nicht nur darum, die sexuelle Monogamie aufzugeben, sondern um emotionale Verbindungen mit mehr als nur einer Person, inklusive der emotionalen und in manchen Fällen auch sozialen Ebene.
Fairerweise muss dazu gesagt werden, dass die Realität von offenen Beziehungen oft anders aussieht. Die meisten Paare nehmen es nach einer Zeit auch mit der emotionalen Treue nicht mehr so genau und pflegen neben ihrer Hauptbeziehung dauerhafte Verhältnisse zu ein, zwei oder mehreren weiteren Menschen. Da diese Beziehungen jedoch nicht denselben Status wie die Erstbeziehung haben, könnte man hier auch von hierarchischer Polyamorie sprechen. Die Polyamorie als Reinform jedoch sieht nämlich eine egalitäre Liebe zu allen Beteiligten vor.
Was wirklich zählt – egal ob monogam oder polyamor
Nun gibt es in der Liebe aber nie schwarz oder weiß, sondern nur bunt. Wie genau nun die Beteiligten ihre Beziehungsform nennen – ob polyamor, quasi-monogam oder offene Beziehung – bleibt am Ende jedem selbst überlassen. Damit jedoch diese Beziehungen gelingen können, spielen Ehrlichkeit, Kommunikation, Loyalität und Aufrichtigkeit eine besonders wichtige Rolle. Doch Moment – tun sie das nicht auch in monogamen Beziehungen?
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Welche besonderen Anforderungen bringt diese Beziehungsform mit sich?
Auch wenn sich Poly-Beziehungen hinsichtlich dieser Werte gar nicht so sehr von monogamen Beziehungen unterscheiden, so bringt Polyamorie doch einige Herausforderungen mit sich. Einer der wichtigsten Punkte ist mit Sicherheit Ehrlichkeit. Heißt: Alle Beteiligten wissen voneinander und sind mit dem Konstrukt einverstanden.
Durchgehend Transparenz zu schaffen, kann jedoch anstrengend sein. Zudem bringt diese Liebesart einen erheblichen Aufwand in Form von Aufmerksamkeit, Zeit und Kommunikation mit sich, um für alle Partnerpersonen da zu sein. Damit Polyamorie gelingen kann, braucht es daher gewisse Regeln, die alle Beteiligten einvernehmlich treffen. Wie diese genau aussehen, ist sehr individuell und muss jedes „Polykül” für sich selbst definieren. Hier gibt es kein „Richtig” oder „Falsch”. Wichtig ist nur, dass sich alle Beteiligten mit den Absprachen und der Geschwindigkeit wohlfühlen. Kommunikation ist das A und O.
Neu definierter Treuebegriff
Da die Liebe in diesen Konstrukten auf Ehrlichkeit zueinander und nicht auf Exklusivität basiert, erfährt vor allem der Begriff „Treue” in offenen und polyamoren Beziehungsformen eine neue Bedeutung. Hier bedeutet Treue einerseits, dass vereinbarte Regeln und Vereinbarungen eingehalten werden, andererseits, dass Treue auch Abstufungen erfahren kann. Da jedoch die emotionale Verbundenheit zu den jeweiligen Partnerpersonen an oberster Stelle steht, ist vielleicht der Begriff “Loyalität” passender.
Eifersucht und emotionaler Stress als mögliche Begleiterscheinungen
Aller Regeln und Absprachen zum Trotz kann es jedoch immer mal wieder vorkommen, dass sich eine Partei zurückgesetzt oder vernachlässigt fühlt und sich dadurch Eifersucht breitmacht. In schweren Fällen ist sogar von starkem emotionalem Stress die Rede, der in monogamen Beziehungen weniger oft auftritt. Hier richtig und empathisch zu reagieren, ist oft gar nicht so einfach. Dazu gehört auch, sich selbst eingestehen und kommunizieren zu können, wenn es einem mit dem Konzept nicht mehr gut geht. Viele schrecken davor zurück, dem Partner oder der Partnerin zu sagen, dass sie vielleicht doch lieber eine geschlossene Beziehung wünschen, aus Angst, dem anderen den Spaß zu verderben oder das eigenen „Recht” auf weitere Partner:innen zu verlieren.
Ärger im Paradies: Was tun, wenn es knirscht
Gerade am Anfang einer offenen oder polyamoren Beziehung erleben viele schwierige und ungewohnte Situationen und Gefühle. Zum Beispiel, wenn der Partner oder die Partnerin das erste Mal Sex mit jemand anderem hat oder das erste Mal über Nacht wegbleibt. Oder man erlebt mit, wie der Partner mit einer anderen Person auf eine Weise umgeht oder Dinge unternimmt, die man sich selber schon länger wünscht. Situationen, in denen Verlustängste, Selbstzweifel und auch Wut auftreten können.
Über die eigenen Gefühle bewusst werden
Doch wie oben schon erwähnt, sind Ehrlichkeit und Kommunikation das A und O. Vorwürfe oder Anschuldigungen sind hier fehl am Platz, schließlich habt ihr gewisse Absprachen getroffen und du kannst davon ausgehen, dass deine Partnerperson nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat. Vielmehr geht es darum, sich über die eigenen ambivalenten Gefühle bewusst zu werden und diese dem Partner oder der Partnerin gegenüber ehrlich zu formulieren. Kurz: sich emotional nackig zu machen. Dazu gehört eine Menge Mut, doch nur, wenn die andere Person verstehen kann, wie es dir genau geht und warum kann weiter an der Beziehung gearbeitet werden. Diese Öffnung ermutigt auch die anderen Beteiligten, ehrlich zu sein und ihre Gefühle – seien sie noch so verwirrend und auf den ersten Blick irrational – jederzeit zu kommunizieren.
Eine gute Möglichkeit, solchen Situationen vorzubeugen, sind regelmäßige Check-Ins. Auch in langjährigen und gut funktionierenden Poly-Beziehungen. Wie geht es dir? Fühlst du dich in unserer Beziehung gesehen und geliebt? Sollen bestimmte Bereiche erweitert oder eingeschränkt werden? Gab es in letzter Zeit Situationen, in denen ich dich unbewusst verletzt habe?
Für wen eignet sich Polyamorie?
Evolutionsforscher:innen diskutieren seit Jahren, ob der Mensch ein monogames Wesen ist. In der Tierwelt sind nur drei bis fünf Prozent der Säugetierarten treu, in der Steinzeit haben sich die Menschen vermutlich nicht nur Höhlen, sondern auch Partner:innen geteilt. Statistiken gehen davon aus, dass in jeder zweiten Ehe fremdgegangen wird. All das scheint gegen Monogamie zu sprechen.
Es bleibt eine individuelle Entscheidung
Dennoch: Ob jemand polygam, polyamor, in einer offenen Beziehung oder sogar beziehungsanarchistisch leben und lieben möchte, ist eine rein individuelle Entscheidung. Denn auch wenn unser heutiges, gesellschaftlich vorherrschendes Treuemodell keine 300 Jahre alt ist, so ist der Glaube daran durch unsere Sozialisierung tief verwurzelt. Sich für ein alternatives Beziehungskonzept zu entscheiden, bedeutet daher auch, sich von gewissen Glaubenssätzen zu lösen, was wiederum ein schmerzhafter Prozess sein kann. Ein guter Indikator ist, wie du dich beim Lesen dieses Textes gefühlt hast. Solltest du ein eher mulmiges Gefühl und Unwohlsein verspüren, ist Polyamorie vermutlich kein Konzept, in dem du dich auf Dauer geborgen und gut aufgehoben fühlen wirst. Sollte er jedoch hingegen deine Neugier geweckt werden, lohnt es sich für dich vielleicht, wenn du dich mit dem Thema näher auseinandersetzt.
Fazit
Eines jedoch ist sicher: Eine offene oder polyamore Beziehung sollte immer aus freien Stücken und nie nur dem Partner zuliebe eingegangen werden. Stattdessen sind gewisse Grundvoraussetzungen gefragt, wie eine gewisse Lust auf Unbekanntes und die Bereitschaft, Liebesbeziehungen ständig neu auszutarieren. Worauf wartest du noch?
Text: Marina Roesser
Bild: shutterstock.com/ Pixel-Shot
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