Josefa Nereus, 35, arbeitet seit knapp zehn Jahren als Sex-Arbeiterin. Im Gespräch mit Heike Niemeier geht es jedoch nicht um Kund:innen, Tipps und Tricks einer Sex-Arbeiterin, sondern um ihre eigene Lust. Josefas Lust am Leben, ihre Lust am Sex und ihre Lust an der Bezahlung.
Was bedeutet Lust für Dich?
Ich persönlich sehe Lust nicht nur als etwas, das mit Sexualität zu tun hat, sondern was mit ganz vielen unterschiedlichen schönen Dingen verbunden ist. Die Lust auf ein schönes Essen, die Lust auf schöne Kleidung, die Lust rauszugehen, die Lust, mir jeden Tag so zu gestalten, wie es für mich angenehm ist. Das alles hat für mich mit Lust zu tun.
Lust und Erotik
Sind diese lustvollen Dinge mit deiner sexuellen Lust verbunden?
All diese Dinge haben tatsächlich auch eine erotische Komponente und sind mit meiner erotischen Lust verbunden. Es würde mir sehr schwerfallen, Lust im erotischen Sinne zu empfinden, wenn all diese anderen Faktoren nicht dazu beitragen würden. Sie sorgen für meine Grundhaltung, sodass ich mir meinen Tag, mein Leben danach gestalte.
Wie hast du deine Lust entdeckt?
Ich musste sie nicht entdecken. Die Lust war immer da, es ging eher darum, diese Lust zu befreien. Was hindert mich daran, sie tatsächlich offen auszuleben? Was hindert mich daran, mein Leben danach auszurichten, dass ich mehr davon genießen kann?
Lust braucht Erlaubnis
Es ging also eher ums Erlauben?
Ja, zum Beispiel Sätze wie „Es kann nicht immer alles nur Spaß sein“ hinter mir zu lassen. Warum denn eigentlich nicht?
Gibt es in deinem beruflichen Leben als Sexarbeiterin auch Lust?
Auf jeden Fall! Das beginnt schon mit der Gestaltung meines Angebotes. Das ist geprägt, durch die Dinge, die mir Lust und Freude bereiten. Natürlich biete ich nicht nur Dinge an, die mich in höchste Ekstase versetzen. Aber es sind alles Dinge, auf die ich schon irgendwie Lust habe, die ich spannend finde, bei denen ich etwas erfahren und lernen kann.
Lust als Sex-Arbeiterin
Das heißt, das Anliegen deiner Kundschaft bereitet dir Lust?
Wenn ich morgens meinen Kalender aufmache und sehe, jemand kommt mit einem tollen Anliegen, dann bereitet mir das Lust. Ich bin bemüht diese Lust auch körperlich zu erleben. Allerdings ist das natürlich Teamarbeit. Es ist von meiner Tagesform abhängig, aber auch vom Gegenüber.
Unterscheidet sich deine privat gelebte Lust von deiner beruflichen?
Wenn mich etwas erregt, macht es für mich persönlich keinen Unterschied, ob ich dafür Geld bekomme oder nicht.
Lust am Geldverdienen als Sex-Arbeiterin
Macht Geld Lust?
Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass es mir Lust bereitet, Geld dafür zu bekommen. Oftmals ist tatsächlich die Geldübergabe an sich, etwas, das mir sehr viel Freude und auch Lust bereitet.
Geld ist auch eine Anerkennung. Eine Wertschätzung für deine Arbeit.
Exakt, es ist eine ganz direkte Bestätigung dafür, dass das, was ich tue und wie ich es tue, anderen Menschen etwas wert ist, im wahrsten Sinne des Wortes.
Verringert es deine private Lust, weil Du nicht bezahlt wirst?
Nicht bezahlt zu werden, schmälert meine Lust nicht.
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Lust und Grenzen
Gibt es Grenzen in deiner beruflichen Lust als Sex-Arbeiterin?
Meine berufliche Lust ist natürlich gedeckelt durch die Verantwortung, die ich für meine Kundschaft übernehme und der ich zugestimmt habe. Wenn Menschen zum Beispiel Missbrauchserfahrungen gemacht haben, dann kann ich nicht mit der vollen Energie, der vollen Lust, die ich in dem Moment vielleicht empfinde, auf diese Person zugehen und riskieren, dass ich sie vielleicht damit einschüchtere, überwältige oder vielleicht sogar andere Geschichten in dieser Person wachrüttle.
Das heißt, dass du gerade im Beruflichen sehr kontrolliert sein musst?
Ja, es passiert immer wieder, dass ich meine eigene Lust zurücksetze und mir sage: „Halt! Moment, es geht jetzt nicht um mich. Es geht jetzt um die andere Person“. Es gibt aber auch immer wieder durchaus Kunden und Kundinnen, die sich genau das wünschen. Also von mir „benutzt“ zu werden. Das ist dann aber abgesprochen, dass sie mir und meiner Lust dienen wollen.
Lust und Kontrolle
Lust versus Verantwortungsgefühl?
Ja, das hast du völlig richtig erfasst. Dieses Verantwortungsgefühl gehört einfach mit dazu. Ich gehe als Sex-Arbeiterin mit Themen um, die sehr sensibel sind, die sehr mit der eigenen Identität der Personen zu tun hat. Und da kann man auch eine Menge Schaden anrichten. Und deswegen bin ich im beruflichen Kontext sehr darauf bedacht, diesen Rahmen halten zu können, dass Personen einen sicheren Raum haben, in dem sie sich wohlfühlen und öffnen können.
Heißt das auch, dass Du sehr kontrolliert sein musst?
Auf jeden Fall geht es um Kontrolle. Zu wissen, was macht mein Körper. Zu wissen, dass ich in einer Stunde Analsex mit jemanden praktizieren kann oder eben auch nicht. Das ist eine Form von Kontrolle, aber natürlich auch das mich Menschen bezahlen, eine krasse Lebensgeschichte zu hören und ein offenes Ohr zu haben. Und natürlich die Kontrolle über mich selbst und dass ich nicht einfach jemanden anspringe, nur weil ich jetzt gerade geil bin.
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Lust und Konsens
Konsens ist King?
Ja, mir den Konsens einzuholen, dass ich Menschen darüber informiere, was jetzt passiert, was passieren könnte, wie sich Dinge anfühlen könnten. Das hat sehr damit zu tun, dass ich die Kontrolle über mich, meine Lust und meinen Körper habe.
Was würdest du Frauen raten, wie sie in ihre Lust kommen können?
Lust ist kein Punkt, den man sich auf seine Agenda setzt. Das ist kein Termin im Kalender. Oh, heute von 15 bis 17 Uhr habe ich Lust. Wenn Menschen mehr Lust in erotischer Beziehung oder auch in anderen Lebensbereichen erleben möchte, dann ist das eine Entscheidung, wie ich mein Leben führen möchte.
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Heike Niemeier hatte eine erfolgreiche Veranstaltungsagentur, aber keinen Spaß mehr in ihrem Job. Mit Ü50 stellte sie ihr Leben auf den Kopf. Mit dem Perspektivwechsel kam eine neue Berufung: Systemischer Coach und Sexualberaterin. Und so viel mehr Leichtigkeit und Freude im Leben. Für Happy Vagina schreibt sie über Laune(n), Lust und Leidenschaft. (Foto: Stefan Zeitz)