Das Model Caprice Bourret riet Frauen kürzlich, sich zurückzulehnen und regelmäßig fünf Minuten Sex zu haben, um ihre Beziehung aufrechtzuerhalten. Unsere Autorin und Sexberaterin Mignon findet „Wartungssex“ fürchterlich.
Ausrede wie „Ich bin müde” oder „Ich habe Kopfschmerzen” sollen nach der Meinung des US-amerikanischen Models Caprice Bourret (49) aus dem Sprachschatz einer jeden Frau entfernt werden. Stattdessen Augen zu und durch: Es sei schließlich „für das Team“, sagt sie. Immerhin seien es nur „fünf bis zehn Minuten deines Lebens“, meint Caprice.
Wartungssex steht hoch im Kurs
Caprice Bourrets Art von Sex wird als „Wartungssex“ bezeichnet. Aber was verbirgt sich genau hinter diesem Wort? Im Wesentlichen geht es dabei um Sex, um die Beziehung aufrechtzuerhalten. Gerade in langjährigen Partnerschaften kommt das leider öfters vor, wie das Ergebnis einer Umfrage* zeigt. 4.000 Personen wurden nach dem Anlass für Sex befragt. Auf Platz 6 der Antworten landete „weil er/sie es gerne möchte“. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern übrigens. Das ist schockierend.
Wartungssex kein Einzelfall
Auch aus meiner Praxis kann ich das bestätigen. Viele meiner Klientinnen kommen mit dem Anliegen zu mir, dass sie seit Jahren die Lust an Sex verloren haben und es nur noch tun, weil es von ihnen erwartet wird. Diese Aussage schmerzt mich sehr, denn sich immer wieder zu etwas zu zwingen, wozu man keine Lust hat, kann zu seelischen Erkrankungen führen und sogar körperliche Beeinträchtigungen herbeirufen.
Die Phasen von Sex
Die Sexualität spielt sich in einer Beziehung meist in Phasen ab. Man lernt sich kennen und probiert sich miteinander aus, in dieser Phase ist der Sex noch extrem prickelnd. Dann findet man heraus, was der oder die andere mag und was einem selbst gefällt, und einigt sich zwar auf einen individuellen Ablauf, den man aber über Jahre beibehält und immer wiederholt – ohne sich darüber auszutauschen, ob es noch lustvoll, juicy und befriedigend ist. Doch wer hat schon jeden Tag Lust Nudeln zu essen? Solche Sexroutinen sind meist nicht besonders prickelnd. Im Gegenteil, die Faktoren Spaß, Abenteuer und Abwechslung haben sich aus dem Schlafzimmer verabschiedet und Sex in Rente geschickt. Für mich kein Wunder, warum Frauen (und Männer) die Lust an Sex verlieren. Doch kann Wartungssex da helfen?
Wartungssex als Basis einer Beziehung?
Als Sexualberaterin weiß ich, dass Wartungssex oft als Rückgrat für eine glückliche Beziehung oder Ehe empfohlen wird. Doch ich würde dazu nie raten, denn was bedeutet das für die Frau von heute?
Ich finde: Sex ist eine Reise, die gemeinsam mit dem Sexpartner gestalten werden soll. Eine Frau verliert beim Wartungssex nicht nur an eigener Wertschätzung, sondern auch ihre Rechte an Sex. Sie sieht Sex als reine Verpflichtung an. Sie traut sich weniger oder sogar gar nicht mehr, ihre sexuellen Wünsche ihrem Mann mitzuteilen. Willkommen in den 1950er Jahren.
Abgesehen von den Frauen, wie fühlt sich der Mann, wenn seine Partnerin lustlos Sex abspult? Vielleicht wäre es für ihn schöner, wenn sie sagt, was sie braucht, anstatt um den Oscar als beste Schauspielerin zu buhlen?
Sex per Gesetz
Wie kommen wir überhaupt darauf, dass regelmäßiger Sex, selbst wenn er keinen Spaß macht, unserer Beziehung guttut? Dieses falsche Wissen von Sexualität lernen wir häufig schon von unseren Eltern. Sie lehren uns, wie wir zu uns und zu anderen sein sollen, aber auch, wie wir einmal Sex haben werden. Von ihnen schauen wir uns unbewusst ab, wie man sich als Frau verhält. Wobei sich das zum Glück mit der Zeit immer mehr wandelt.
Ganz wichtig war für mich auch die Erkenntnis, dass es keine Pflicht auf Sex gibt. Selbst in der Ehe nicht. Aber erst seit Mai 1997!!! Für unsere Mütter und Großmütter gab es die Freiheit über ihren eigenen Schoßraum noch nicht! Sie konnten noch angeklagt werden, wenn sie ihren „Eheverpflichtungen“ und hier fällt auch der Sex als Muss darunter, nicht nachgekommen sind.
Raus aus dem Wartungssex
Wenn man etwas aus Pflicht macht, ist es doch auch nur halb so viel Spaß. Das kennen wir aus der Schule, vom Fensterputzen und vom Keller aufräumen. Sollten nicht beide Sexpartner bei der schönsten Nebensache der Welt Spaß und vor allem Lust haben?
Wie kommt man also von Wartungssex weg?
Die Kommunikation mit dem Partner ist für mich hierbei das Entscheidende; viel wichtiger als haltgarer Sex. Dafür muss man „Nein“ sagen können. Wer noch nicht „Nein“ sagen kann, dem fehlt es schlicht an Übung. Deshalb empfehle ich, ein „Nein“ bereits im Alltag einzubauen. „Nein, ich will heute nicht kochen“. „Nein, ich möchte lieber mit meiner Freundin shoppen gehen“. „Nein, mir ist nicht nach einem Spaziergang“. Nichts überstürzen, sondern immer wieder reinfühlen: Will ich das gerade? Und wenn die Lust (zu kochen, zum Spazierengehen etc.) fehlt, ruhig „Nein“ sagen. Dann fällt es auch leicht, im Bett das erste Mal „Nein“ zu sagen. Bekanntlich ist jeder Anfang schwer, aber wenn es einmal über die Lippen gekommen ist, merkt man, dass es gar nicht so schlimm war, wie gedacht. Im Gegenteil, es ist ein Neuanfang, um die Sexualität mit dem Partner neu zu definieren.
Jetzt nicht, Schatz
Mein Fazit ist, dass weder Frau noch Mann „Wartungssex“ haben sollten. Selbst wenn Frauen, wie Caprice Bourret, der Meinung sind, dass sie dadurch ihre Ehe am Leben halten. Lieber mal ein klares „Nein“ zum Sex, dafür aber nach und nach ein „Ja“ zu dem, was mehr Lust macht.
* https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1141921/umfrage/umfrage-in-deutschland-zu-gruenden-fuer-sex-mit-partnerin/
Mignon ist Moderatorin in Hamburg, glücklicher Single, aber nicht allein, da mit Hündin Mia. Gerade schließt sie ihre Ausbildung als Sexualberaterin ab. Sie findet, dass gerade bei uns Frauen noch viel Aufklärung notwendig ist und liebt es gerade Frauen bei ihren sexuellen Anliegen zu helfen. Mehr zu Mignon gibt’s bei „sexualberatungbymignon“. (Foto: Anri Coza)