Jede zweite Frau hat schon mal einen Orgasmus vorgetäuscht. Warum unsere Autorin Jove aufgehört hat, den Höhepunkt zu faken. 

Schwitzend und keuchend liegen er und ich nebeneinander auf dem zerwühlten Bett. Bis vor wenigen Sekunden haben wir eine animalisch-wilde Performance abgeliefert, die auf vielen Porno-Plattformen eine Weiterempfehlungs-Rate von über 90 % erreicht hätte. Er ist gekommen. Yeah! Stolz breitet sich in mir aus. Was bin ich doch für eine großartige Liebhaberin! Doch dann dreht er sich zu mir und schaut mich fragend an. Ich flehe innerlich, dass er mich nicht diesen einen Satz fragt. Bitte nicht. Denn ich habe meinen Orgasmus vorgetäuscht.

Bist du gekommen?

Dann stellt er, wie viele seiner Vorgänger, die Frage, die ich am liebsten aus dem Wortschatz ausradieren würde: „Bist du gekommen?”. Und da ist sie, die maximale  Verunsicherung als  unangenehme Begleiterscheinung zu dieser einen Frage.? „Hast du es nicht gemerkt? Ich bin nicht gekommen. Denn ich weiß verdammt nochmal nicht, wie es geht. Ich weiß noch nicht einmal, wie sich ein Orgasmus anfühlt. Weil ich noch nie gekommen bin!”, schreit meine innere Stimme. Ich täusche meinen Orgasmus immer vor.

Warum ich meinen Orgasmus vortäusche

Nein, ich kann ihm das alles niemals sagen. Was soll er bitte von mir denken? Dass ich ihm einen Orgasmus vorgetäuscht habe? Damit würde ich schließlich seine Gefühle verletzen. Nein. Ich könnte ihn niemals mit der Wahrheit belasten. Also flüstere ich: „Ja.” Und schließe meine Augen. Ich gebe vor, dass mich die Orgasmuswelle so ermüdet hat, dass ich keinen weiteren Satz mehr von mir geben möchte. Zu der Unsicherheit gesellt sich nun auch das Gefühl von Schuld. Er dreht sich mit einem breiten Grinsen wieder auf seinen Rücken und nimmt mich in seinen Arm. Ich fühle mich wie eine Orgasmus-Schwindlerin. 

Schluss mit Orgasmus-Schwindel

Das Gefühl von Unsicherheit und Schuld, die verzerrte Vorstellung im Bett jemanden zu sein, die ich nicht bin. Ich hatte keinen Bock mehr darauf. Ich war es leid, dem Orgasmus hinterherzujagen. Orgasmus, alle schwärmen von dir, aber ich durfte dich nie kennenlernen. Stattdessen haben sich Schuld und Unsicherheit in mein Liebesleben eingeschlichen und wollen nicht mehr von meiner Seite weichen. Also habe ich losgelassen. 

Einen Orgasmus zu faken, ist kontraproduktiv

Nun mal die Ego-Aufputscherei beiseite. Warum machen wir uns selbst und unserem Partner im Bett etwas vor? Weil wir befürchten, als Liebhaberin nicht gut genug zu sein? Weil wir Angst haben, dass wir verlassen werden, wenn wir zugeben, dass wir nicht so einfach zum Höhepunkt kommen? Lass nicht zu, dass dieser Bullshit in deinem Kopf Überhand nimmt. Lerne vielmehr zu akzeptieren, dass Sex individuell erfahren werden darf. Probiere dich aus. Sag es, wenn es dir weh tut. Du müde bist. Dass du mal wieder einen sexuellen Ortswechsel brauchst oder eine Fußmassage.

Lasst uns ehrlich über Sex reden

Wenn mein Partner mich heute fragt, ob ich gekommen bin? Ich würde ehrlich sein und keinen Orgasmus mehr vortäuschen. Ich würde in mich hineinhorchen und die Momente beschreiben, die ich erregend fand. Ich würde schon vor und während des Geschlechtsverkehrs Hinweise gegeben – verbal und mit der Körpersprache – was mich anturnt und was nicht. Ich habe für mich erkannt, dass es beim Sex um weitaus mehr geht als nur um the Big O. Seitdem ich offen über meine sexuellen Gedanken und Bedürfnisse rede, auch Unsicherheiten anspreche, haben meine sexuellen Begegnungen eine solche Tiefe erhalten. Und damit zog eine nie dagewesene Leichtigkeit in mein Liebesleben. Seitdem habe Sex ohne Orgasmus – und mit. 

Stress dich nicht und sei gut zu dir selbst

Verabschiede dich von der Last des Orgasmuswahns und bringe mehr Leichtigkeit in dein Liebesleben. Rede ehrlich und offen mit deinem Lover. Lernt voneinander. Probiert euch aus. Habt Spaß – mit und ohne Orgasmus. Es ist nicht deine Aufgabe, Liebhabern eine Sexbombe vorzuspielen, die durch reine Penetration multiple Orgasmen hervorzaubert. Wer das denkt, hat eindeutig zu viele Pornos gesehen. Es sollte auch nicht deine Aufgabe sein, deinem Partner nach dem Sex zu bestätigen, dass er dich wie ein wilder Hengst zum Höhepunkt gestoßen hat. Befreie dich von dem Gedanken, beim Sex irgendetwas zu müssen und vor allem davon, einen Orgasmus vorzutäuschen. Stress dich nicht und sei einfach gut zu dir selbst.