Psychologin Ineka Hänisch hat sich im Rahmen ihrer Masterarbeit mit der Zervix, also dem Gebärmutterhals, beschäftigt. Bei der Forschung kam leider nicht so viel raus, ihr Sexleben hat es dennoch verändert.
Liebe Ineka, Du bist Psychologin und hast dich in deiner Masterarbeit mit der Zervix beschäftigt. Was wolltest du herausfinden?
Wir haben in mehreren Abschlussarbeiten das Self:Cervix-Programm von Olivia Bryant evaluiert. Das bedeutet, dass wir mit Hilfe von zwei Gruppen von Frauen – eine Gruppe hatte das Programm gemacht, eine Gruppe nicht – herausfinden wollten, ob und in welchen Bereichen das Programm wirksam ist. Die erhobenen Kerninhalte waren Taubheitsgefühle in Zervix und Vagina, Lustempfindung und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, die Wahrnehmung der weiblichen Genitalien, und das psychische Wohlbefinden.
Die Zervix ist sexuell höchst erregend
Kannst Du kurz sagen, was die Zervix ist? Was der Muttermund ist? Und was das Besondere dieses weiblichen Organs ist?
Die Zervix ist quasi der Ein- und Ausgang der Gebärmutter. Sie hat eine kleine Öffnung durch die beispielsweise Menstruationsblut aus der Gebärmutter „herausgespült“ wird und Spermien in die Gebärmutter eindringen können. Während einer Schwangerschaft verschließt die Zervix die Gebärmutter, um so das Kind zu schützen. Das kennen viele wahrscheinlich von Besuchen beim Ärzt*innen, oder aus dem Biounterricht. Die Zervix kann aber noch mehr. Sie ist eines der am besten innervierten Organe. Gleich drei große Nerven durchziehen die Zervix und machen sie so zu einem potenziell sehr empfindsamen Organ. Diese Empfindsamkeit äußert sich aber von Person zu Person anders, viele empfinden Schmerzen bei der Stimulation der Zervix, viele spüren nichts (die Zervix ist sozusagen taub), für viele ist eine Stimulation aber auch sehr angenehm bis hin zu sexuell höchst erregend.
Ineka Hänisch ist klinische Psychologin und hat über die Zervix geforscht
Ineka Hämisch / PR
Wie wurde die Zervix bisher in der Forschung wahrgenommen?
Generell wird die Zervix wohl am häufigsten in der Onkologie im Zusammenhang mit Gebärmutterhalskrebs betrachtet, was natürlich absolut wichtig ist, aber eben dieses tolle Organ nur von der pathologischen Seite beleuchtet. Abgesehen davon wurde der Zervix, entgegen des heutigen Wissensstandes, die Empfindsamkeit abgesprochen. Danach wurde sie in der Sexualmedizin lange Zeit eher nicht behandelt. Heute weiß man aber, dass besonders das bereits genannte Nervengeflecht für die weibliche Sexualität einen echten Gewinn darstellen kann. So gibt es Studien, in denen Frauen mit Querschnittlähmung, die deswegen keinen klitoralen Orgasmus mehr erleben konnten, durch die Stimulation an der Zervix orgasmusfähig waren.
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Das erste Mal mit der Zervix beschäftigt
Zu welchen Ergebnissen seid ihr gekommen?
Leider konnten wir keine Wirksamkeit des Programms bezogen auf die Taubheit der Zervix finden. Dafür haben sich die empfundenen Schmerzen der Teilnehmerinnen während der Penetration verringert, die Wahrnehmung der weiblichen Genitalien wurde positiv beeinflusst und einige Facetten des psychischen Wohlbefindens verbessert. Bezüglich der Taubheit kann das natürlich verschiedene Ursachen haben. Innerhalb des von uns erhobenen Zeitraums konnten die Übungen eventuell nicht häufig genug durchgeführt werden, um nur ein Beispiel zu nennen.
Das klingt für mich erstmal ein bisschen enttäuschend. Ich hätte mir eindeutigere Ergebnisse gewünscht. Gehen wir daher mal weg vom Empirischen und hin zu dir. Hat die Zervix-Forschung etwas bei dir persönlich verändert?
Ich selbst habe mich während der Recherche für die Arbeit das erste Mal überhaupt mit der Zervix auseinandergesetzt, und das, obwohl ich mich selbst als sexuell sehr offene und neugierige Person bezeichnen würde. Ich war ehrlich gesagt ein bisschen wütend darüber, dass dieser Teil des weiblichen Körpers ein weiterer ist, der einfach außen vor gelassen wird, außer wenn man sich selbst sehr explizit auf die Suche begibt. Dadurch, dass die Zervix innen liegt, stolpert man ja nicht einfach so darüber. Und auch ich habe vor allem frühe, unangenehme Erinnerungen an Besuche bei meiner Gynäkologin, bei denen schmerzhafte Abstriche gemacht wurden. Deshalb wäre ich selbst nie auf die Idee gekommen, dass die Stimulation der Zervix überhaupt Spaß machen könnte.
Den Gebärmutterhals anfassen, macht Lust
Was hast du persönlich gemacht, um deine Zervix mehr zu erforschen?
Ich habe mich dem Ganzen recht unromantisch genähert und recherchiert, in welchem Abschnitt meines Zyklus ich meine Zervix gut erreichen kann. Ich kann mich daran erinnern, dass ich zunächst etwas irritiert darüber war, was ich da fühle. Dann habe ich mir Bilder der Zervix im Internet gesucht, um besser einordnen zu können, was ich da wo fühle. Danach habe ich begonnen Entspannungsübungen zu machen und im entspannten Zustand sehr achtsam die Zervix zu stimulieren. Nach und nach habe ich immer mehr dabei gespürt.
Ich erinnere mich, als ich meinen Muttermund zum ersten Mal angefasst habe, war richtig spooky. Wie ist es dir ergangen?
Absolut. Ich habe diese glatte Oberfläche, bei der man den kleinen Eingang in der Mitte spürt irgendwie nicht erwartet. Dadurch, dass ich an der Zervix zunächst nicht viel gespürt habe, war auch das Gefühl merkwürdig, mit den Fingerspitzen etwas zu fühlen, ein bisschen so, wie wenn man mit den Fingern ein eingeschlafenes oder betäubtes Körperteil berührt. Es fühlt sich ein wenig fremd an, nur dass die Zervix dazu noch ein Organ ist, das innerhalb des Körpers liegt.
Ich habe den Self-Cervix-Kurs bei Olivia zwei Mal absolviert. Ich würde nicht sagen, dass meine Zervix komplett entpanzert ist, aber allein, dass ich mich mit diesem Organ auseinandergesetzt habe, hat bei mir zu mehr Empfindungen im Schoß geführt. Wie erging es dir?
Ich denke auch, dass die Auseinandersetzung mit sich selbst und in diesem Fall mit dem eigenen Körper immer der erste Schritt ist. Bewusstsein schaffen und Neugier wecken, kann ja einfach etwas super Spannendes und Anregendes sein. Zu wissen, wie viel noch im eigenen Körper verborgen liegt und wieviel Spaß man damit haben kann, empfinde ich als einen total schönen Gedanken, der sicher alleine schon einiges bewegen kann.
Ein wichtiger Schlüssel
Heißt das für dich: Mehr Bewusstsein schafft mehr Verbindung, bringt mehr Lust?
Ja, so kann man das formulieren. Die Verbindung zu sich selbst, dem eigenen Körper, den eigenen Gefühlen und körperlichen Empfindungen kann auf jeden Fall viel mehr Lust bringen. Achtsam mit sich umgehen, auf die eigenen Wünsche und Regungen hören und diese auch ernst nehmen, ist einfach ein wichtiger Schlüssel, nicht nur wenn es um Sexualität geht.
Hast Du mit Freundinnen über die Zervix gesprochen? Wie war ihr Verhältnis zu dem weiblichen Organ?
Ich habe, während ich die Arbeit geschrieben habe, sehr viel mit Freundinnen über die Zervix gesprochen (mit Freunden auch, die waren immerhin interessiert, und wussten genauso wie die Mädels nichts darüber). Die wenigsten konnten durch die Stimulierung der Zervix Lust erleben, wenn ich mich richtig erinnere, waren es nur zwei. Beide wussten aber nicht, dass es die Zervix ist, die ihnen da Lust bereitet. Der Rest hat entweder nichts gespürt oder fand Stimulation, vor allem beim Sex, unangenehm. Von gynäkologischen Untersuchungen hingegen kannten aber alle die Zervix. Was uns geeint hat, war dass wir uns alle gefragt haben, wie es sein kann, dass wir als gebildete, emanzipierte Frauen eine solche Wissenslücke haben konnten?
Wie ist Dein Fazit als Wissenschaftlerin über die Zervix?
Ich denke, dass die Zervix und die weibliche Sexualität generell noch deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte. Der weibliche Körper und seine Funktionen sind in der Medizin und somit in der Wissenschaft nach wie vor absolut unterrepräsentiert. Das finde ich wirklich absurd, da wir eben die Hälfte der Weltbevölkerung darstellen. Ich denke aber auch, dass es nicht nur die Wissenschaft an sich, sondern dass es auch bei der Art und Weise wie Wissenschaft kommuniziert wird, irgendwie hakt. Wissenschaftskommunikation ist super wichtig. Sonst fachsimpeln halt nur ein paar Wissenschaftler*innen über die Zervix und niemand bekommt es mit.
Wie ist Dein Fazit als Frau über die Zervix?
Ich selbst bin sehr froh darüber, mich so intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben und würde es wirklich jeder Person, die in Besitz dieses Organs ist, empfehlen, sich mal ein bisschen Zeit zu nehmen, um es alleine oder mit einer zweiten Person zu erforschen. Mein Sexleben hat sich durch die Entdeckung meiner Zervix total verbessert. Auch die Einstellung zu meiner eigenen Weiblichkeit hat sich damit auf eine ganz besondere Art verändert. Meinen eigenen Körper besser zu kennen, hat für mich etwas empowerndes.
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Viva la Vagina oder Bücher, die die Welt bereichern
Tina Molin arbeitet seit über 20 Jahren als Journalistin. Dann wurde sie Mutter – und plötzlich war ihre Lust weg. Daraus folgte der Blog „Happy Vagina“ und das Interesse an weiblicher Sexualität & Lust. Im Mai 2021 erschien ihr Buch „Endlich wieder Lust auf Sex“ (Goldmann Verlag). Tina arbeitet als Mentorin und begleitet Frauen in ihr lustvolles Leben. Sie schreibt die Kolumne „Sex ab 40“ für Stern und lebt mit Mann und Kind in Berlin. (Foto: Verena Berg)