Kürzlich hat mich meine Tochter gefragt, wo die Babys herkommen. Ich habe schnell das Aufklärungs-Buch „Sex in Echt“ aus dem Regal gezogen. Die Autorinnen Dr. Nadine Beck und Rosa Schilling erzählen im Interview, wie man mit Kids über Sex spricht, mit peinlichen Nachfragen umgeht und warum man bei Sex nie auslernt.

Wie seid Ihr aufgeklärt worden?

Nadine: Meine Aufklärung war die BRAVO! Die habe ich immer mit meiner Cousine gelesen, „Liebe, Sex und Zärtlichkeit“ vom Dr. Sommer-Team war für uns immer schwer interessant.

Rosa: Dito! Und im Kindergarten gab’s das Buch „Peter, Ida und Minimum“. Das ist aus den Siebzigern und wird heute immer noch gelesen …

Wie sollte man am besten aufklären?

Vielen Eltern fällt Aufklärung schwer. Wie sollte man am besten vorgehen?
Nadine: Offen! Aber viele Eltern denken, sie wissen alles über Sexualität. Wenn man dann mal nachfragt, sind aber doch viele Fragezeichen da. Gerade was das eigene Körperwissen, gelernte Scham und Tabus anbetrifft, sexuelle Orientierungen und LGBTQIA* samt diverser Beziehungsmöglichkeiten – da sind unbewusst viele Lücken.

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Rosa: Sich die eigene Scham und die eigenen Fragezeichen bewusst machen, das hilft total. Die machen uns oft so unsicher beim Umgang mit den Fragen der Kids. Oft äußern Erwachsene, dass sie sich sorgen, die Kinder oder Jugendlichen zu überfordern. Tatsächlich sind sie selbst oft diejenigen, die überfordert sind. Wenn Kids nach etwas Konkretem fragen, verdienen sie auch eine möglichst konkrete Antwort — und wenn wir die Antwort nicht wissen, ist das ja eigentlich nicht schlimm, und wir können sagen: „Das muss ich selbst nochmal nachschauen, dann werde ich es dir erklären.“ Das machen wir bei anderen Themen, die nicht so aufgeladen sind wie Sex, doch auch.

No-Gos beim Aufklären

Was ist beim Aufklären hingegen ein absolutes No-Go?

Rosa: Nicht altersgemäß zu erklären. Wenn ein Kindergartenkind fragt „Was ist Sex?“, brauchen wir nicht mit all den Details um die Ecke kommen, die wir im Buch ansprechen. Damit könnten wir dann wirklich überfordern. 

Rosa Schilling und Dr. Nadine Beck: Sex in Echt
Die Autorinnen Rosa Schilling (li.) und Dr. Nadine Beck. Foto: PR

Wie geht man mit der eigenen Scham um, wenn es etwa um Themen wie Analsex geht?
Nadine: Das kann man erklären wie mit Lakritze oder Marzipan: Manche mögen es, manche nicht. Egal, wie man es damit hält, man sucht es sich nicht aus, ob es einem gefällt. Es spricht nichts dagegen, es zu probieren, da es eine normale Praktik ist, es muss aber auch nicht sein, wenn es bei dir irgendeine Grenze überschreitet.
Rosa: Wir müssen auch nicht alles machen, was andere so machen. No pressure! Wichtig ist bloß, es bei anderen auch nicht abzuwerten, sondern anzuerkennen als wertvolle Sexualpraktik wie alle anderen auch, solange sie im Konsens stattfinden.

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Was soll man bei der Aufklärung nicht sagen?

Soll man auch über das eigene Sexleben, Erfahrungen und Vorlieben reden?

Nadine: Das hilft den Kids oft als Orientierung. Und es ist meistens eine ziemlich wertfreie Frage, die eine faktenbasierte Antwort will. Sie wird nur oft von uns mit unserer gelernten Scham, über die eigene Sexualität zu reden, als peinlich empfunden. 

Rosa: Ich denke, ganz unpersönlich über so ein persönliches Thema mit den eigenen Kindern zu sprechen, passt nicht. Aber auch nicht alle intimen Dinge sollten geteilt werden — das kann auch zu viel sein. Manches sollte vielleicht besser nur mit Sexpartner*innen oder besten Freund*innen geteilt werden, statt mit dem eigenen Nachwuchs. Und wo da die Grenze verläuft, muss in der individuellen Eltern-Kind-Beziehung von den Eltern eingeschätzt werden. Ich würde z. B. empfehlen, nicht allzu konkret über das aktuelle Sexleben zu sprechen, aber schon zu antworten, wenn z. B. nach meinem „ersten Mal“ gefragt wird, wenn das ein Erlebnis ist, das ich wertvoll für die Ohren der Kids finde. Damit meine ich nicht, dass es nur erzählt werden sollte, wenn alles rosarot und toll war, sondern auch, wenn was holprig war oder nicht so geklappt hat, wie man es sich vorgestellt hat … 

Wann ist der richtige Zeitpunkt für Auflärung?

Wenn Eltern die Kids mit 14 Jahren aufklären wollen, winken die nur noch gelangweilt ab. In welchem Alter sollte Aufklärung starten?

Nadine: Wenn du merkst, dass dein Kind Interesse signalisiert und Fragen hat. Manche spielen mit 13 noch mit Lego, manche haben mit 10 bereits ihre Periode oder bekommen mit 8 Erektionen, die sie noch nicht einsortieren können. Hierfür kann man auch gut mit den comicartigen Bildern im Buch Sachverhalte erklären: Guck mal, so und so kann das aussehen und das und das kann dein Körper machen. Wem das schon zu peinlich ist, kann das Buch auch einfach diskret irgendwo in die Wohnung legen, es wird schon Interessierte finden …

Rosa: Im Buch sind auch Teile, die zur Introspektion einladen, also quasi Blanko-Seiten mit Fragen, auf denen die Lesenden dann zu ihrer Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, dem eigenen Geschlecht, dem eigenen Begehren Notizen oder Zeichnungen machen können. Darüber sollte am besten kommuniziert werden, dass Eltern dann nicht mehr ins Buch schauen, wenn Kids da was eingetragen haben. Ihre Privatsphäre sollte gewahrt werden. Auch wenn nicht so offen darüber geredet wird, sollten Eltern es respektieren, wenn Kids das Buch mit ins eigene Zimmer genommen haben.

Muss Aufklärung „cool“ sein

Aufklärung cool zu machen, ist schwer. Was habt ihr anders gemacht?

Nadine: Wir predigen nicht von oben herab irgendwelche Wahrheiten, sondern wollten auf Augenhöhe die Kids solidarisch begleiten bei dieser Reise. Die Sprache ist auch unsere Sprache – klar, direkt und mit Humor. Wobei wir es am lebenden Objekt getestet haben, nicht pseudocool und „cringe“ daherzukommen! 

Rosa: Die großartigen Illustrationen von Sandra spielen da als Bereicherung unseres Textes auch eine wichtige Rolle! 

Was soll man bei Kids extra ansprechen?

Welche Themen interessieren Jugendliche, die wir so nicht auf dem Schirm haben?

Rosa: Ich denke, sie interessieren sich schon für oft universelle Fragen: Wer bin ich, auf mein Geschlecht und meine Sexualität bezogen? Bin ich normal, bin ich ok so? Wie bin ich im Vergleich mit anderen? Nur interessieren sie sich aus einer speziellen Warte dafür, also in einem anderen Kontext als dem, in dem wir Erwachsenen selbst aufgewachsen sind. Es gab in meiner Teenager-Zeit z. B. noch kein Social Media. Das macht diese eigentlich universellen Fragen heute spezifisch anders als zu „meiner Zeit“. 

Das Buch klärt in vielen Bereichen auf. Etwa, dass Brüste, Penis und Vulven unterschiedlich aussehen? Ist dieses Wissen wichtig für Teenager?

Nadine: Absolut! Die Kids vergleichen sich doch mit anderen, da ist ständig die Frage: Bin ich normal? Und da zu wissen hey, meine Brüste, Hoden oder Vulvalippen sind unterschiedlich oder nicht so, wie ich es auf vielen Bildern sehe, und das ist total normal, nimmt sehr viel Druck von ihren Schultern. 

Rosa: Es gibt sehr dominante Idealvorstellungen und Schönheitsnormen, die problematisch und belastend sein können. Deshalb ist das Wissen über die Vielfalt von Körpern so relevant.

Brauchen Erwachsene auch Aufklärung?

Habt Ihr bei der Arbeit am Buch selbst noch etwas gelernt?

Nadine: Ich auf jeden Fall!!! Ich wünschte, es hätte zu meiner Pubertät so ein Buch gegeben, dann hätte ich viel mehr das mit der Kommunikation und meiner eigenen Lust und Grenzen setzen draufgehabt. Ein Nein z. B. qualifiziert mich nicht als Person ab und hat nichts mit mir zu tun, sondern mit meinem Gegenüber. Und für dessen Gefühle können wir beide nichts.

Ist das Buch auch für Erwachsene? Schließlich wissen viele nicht, wo der U-Punkt und der Venushügel sind?

Nadine: Das war unser geheimer Wunsch, dass die Eltern auch was dazu lernen! Wir haben schon viel Feedback dazu bekommen, dass das auch so ist. Ganz ehrlich: Gerade bei Endometriose oder Erektionsstörungen haben viele Erwachsene keine Ahnung, was das ist oder wo das herkommt. Viele Gedankenmuster und Glaubenssätze entstehen auch schon in der Pubertät und machen uns später Schwierigkeiten.

Rosa: Unsere sexuelle Entwicklung endet ja auch nicht mit dem erfolgreichen Beenden der Pubertät, sondern geht unser Leben lang weiter. Deshalb können wir immer noch mal was dazulernen, oder neu darüber nachdenken, egal wie alt wir sind. Außerdem verändern sich auch wissenschaftliche Forschungen und außer-akademische Auseinandersetzungen mit Sexualität, dadurch entsteht neues Wissen. Beispielsweise die Anatomie der Klitoris wird an vielen Stellen immer noch nicht korrekt gezeigt, aber das verändert sich so langsam!