Das Zwiegespräch ist mein Rezept, wie kein Streit mehr eskaliert.
Eine gute Streitkultur in einer Beziehung zu haben, ist gar nicht so leicht. Oft eskaliert ein Gespräch und man landet in einem dicken, fetten Streit. Gerade, wenn das Thema auf Sex kommt, gibt oft ein Wort das andere – und man ist mitten drin in einem handfesten Zwist.
Dann kommt es zu Vorwürfen, die den Graben zwischen euch nur noch tiefer machen. Unschöne Sätze fallen, gerne mit IMMER und WIEDER garniert, sodass es einem Manifest des Versagens gleicht. Auf die Vorwürfe wird dann mit Gegenvorwürfen gekontert und uralte Dinge sind plötzlich wieder auf dem Tableau.
Das Grande Finale ist bitter: Schreien, eisiges Schweigen, tiefe Verletzungen, Hoffnungslosigkeit u.v.m.
Tiefe Verletzungen durch das Streiten
Solche Streitereien habe ich selbst jahrelang erlebt. Wir konnten unsere Themen einfach nicht in Ruhe und Frieden besprechen. Jeder Versuch endete im Fiasko – und die Gräben und Vorwürfe wurden tiefer und tiefer.
Das Vertrauen zwischen uns ging immer mehr in die Brüche. Und mit jedem Versuch über schwierige Themen wie Sex zu reden, wurden wir nur bestätigt: Es klappt nicht zwischen uns.
Das Fass war bei uns beiden voll. Wir kamen gar nicht mehr dazu, es zu leeren. Beim kleinsten Anlass lief es mit bitteren Vorwürfen, Groll und Zorn über.
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Reden ohne zu streiten. Das Zwiegespräch hilft
So ging es zwar nicht weiter, jedoch wussten wir nicht, wie wir das Problem lösen sollten. Bis wir das „Zwiegespräch“ entdeckten. Dieser Gesprächsleitfaden hat uns enorm geholfen. Seitdem wir uns daran halten, eskaliert kein Gespräch mehr. Wir schaffen es endlich dem anderen zuzuhören, ohne uns an die Gurgel zu gehen. Wir können unsere Themen endlich in Ruhe und Frieden vorbringen – und das Gegenüber hört zu.
Auch in meinen Coachings wende ich das Zwiegespräch immer wieder an. Und siehe da. Es klappt immer. „Wir hatten ein richtig gutes Gespräch“, sagen die Frauen später erstaunt. „Er hat endlich verstanden, was ich meine und eingelenkt“, sagen sie. Aber auch „Es war harter Tobak, was er gesagt hat. Das musste ich erstmal verdauen“.
Beim Zwiegespräch ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen
Die Themen kommen endlich auf den Tisch. Sie werden nicht mehr unter den Teppich gekehrt, sondern hervorgeholt und angesprochen. Von beiden Seiten. Zum einen kann man endlich reinen Tisch machen, aber das Gegenüber macht das genauso. Man hört also auch so manches, was man verbockt hat – und übernimmt dafür die Verantwortung.
Zu sagen bzw. zu hören: „Da hast du recht“ oder „So habe ich das noch nie gesehen“ wirkt Wunder.
So funktioniert das Zwiegespräch
Der Gesprächsleitfaden wurde von Michael Lukas Moeller und seiner Frau Célia Fatia entwickelt. Das Selbsthilfekonzept hat genaue Regeln, an die sich beide halten müssen. Die Regeln gehen wie folgt:
- Jeder spricht nacheinander 15 Minuten. Ihr stellt den Timer und hört auf, wenn die Zeit abgelaufen ist
- Während der eine spricht, hört der andere mit offenem Herzen zu
- Der Zuhörende darf nicht unterbrechen oder emotionale Regungen zeigen (Augenrollen, Murren, Aufstöhnen). Die Person verhält sich neutral
- Gesprochen wird in ICH-Botschaften: z. B. „Als du xyz gemacht hast, habe ich mich total ohnmächtig gefühlt. Ich habe mich übergangen, nicht gehört und wertlos gefühlt. Das hat mich zornig gemacht und deshalb habe ich so reagiert“.
- Am besten schaut ihr euch beim Gespräch nicht an, damit es entspannter wird
- Ihr müsst nicht auf das Gesagte des Vorredners eingehen. Ihr seid frei, immer aufs Neue euer Thema zu wählen
- Ihr könnt eine zweite Runde einlegen. Gleiche Regeln.
- WICHTIG: Danach geht ihr auseinander und redet 24 Stunden nicht über das Gesagte. Bzw. schlaft mindestens eine Nacht darüber.
- Wenn es emotional verdaut ist, könnt ihr am Küchentisch oder bei einem Spaziergang über das Gesagt und Gehörte reden.
- Sollte es emotional werden, stoppt ihr. Und macht einen Termin für das nächste Zwiegespräch aus.
Warum wirkt das Zwiegespräch so gut?
Das Zwiegespräch gibt die Möglichkeit, in Ruhe seine Punkte vorzubringen, ohne unterbrochen, gestört, ausgelacht oder mit Gegenargumenten zugeballert zu werden. 15 Minuten kann man nicht vorbereiten, daher wandert der Redende bald vom Kopf ins Herz, öffnet sich, spricht aus, was er sich lange nicht getraut hat.
Das Gegenüber bekommt das ganze Bild. Die ganze Perspektive des anderen. Oft ist man ja davon überzeugt, recht zu haben und der andere Schuld hat. Doch im Zwiegespräch hört man die Seite des anderen und nicht selten, merkt man, dass man einen Anteil an der Misere hat. Dass „der Haufen Scheiße auf beiden Seiten gleich groß ist“, wie mein Mann und ich gelernt haben.
Im Lauf des Zwiegesprächs zeigen sich dadurch oft tiefere Schichten, Missverständnisse, Muster, Glaubenssätze – und können jetzt aufgearbeitet werden. Oft ist es mit einem Gespräch nicht getan, sondern es ist der Auftakt eines Prozesses. Weitere Zwiegespräch folgen und nach und nach lösen sich die Themen endlich auf.
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Aktives Zuhören will gelernt sein
Aktives Zuhören haben wir meistens nicht gelernt. Im Zwiegespräch muss man aber zuhören – und zwar ganz schön lange. Man hört die ganze Geschichte, versteht die Beweggründe plötzlich besser, bekommt die gesamte Einordnung. Dadurch fühlt man mit, sieht das ganze Bild, versteht die andere Perspektive und plötzlich öffnet sich das Herz. Mitgefühl, Anteilnahme und Verständnis entstehen. Und zwar für beide Seiten.
Das Zwiegespräch ist übrigens nicht nur ein Erfolgsgarant in der Partnerschaft, sondern auch bei Kindern (vor allem bei Teenagern, die sich so gehört und ernst genommen fühlen), bei Eltern und sogar bei Arbeitskolleg:innen oder Freund:innen.
Sex-Geständnisse ausplaudern oder nicht?
Tina Molin arbeitet seit über 20 Jahren als Journalistin. Dann wurde sie Mutter – und plötzlich war ihre Lust weg. Daraus folgte der Blog „Happy Vagina“ und das Interesse an weiblicher Sexualität & Lust. Im Mai 2021 erschien ihr Buch „Endlich wieder Lust auf Sex“ (Goldmann Verlag). Tina arbeitet als Mentorin und begleitet Frauen in ihr lustvolles Leben. Sie schreibt die Kolumne „Sex ab 40“ für Stern und lebt mit Mann und Kind in Berlin. (Foto: Verena Berg)