„Da unten”, “untenrum” oder “sie” – Frauen haben oft keine Bezeichnung für ihren Intimbereich. Warum Vulva Shaming nicht gut für das Selbstbewusstsein ist und wie man einen Namen findet, erklärt unsere Autorin Jule.
Als ich mit meiner besten Freundin kürzlich bei einem Glas Wein saß und den Lobeshymnen über ihren neuen Lover lauschte, sagte sie etwas, was mich sprachlos machte: „Er macht genau das, was ich da unten so mag.“
Nach diesem Satz folgte ein verschämter Blick ihrerseits. Und ein fragender meinerseits. Am liebsten hätte ich mich zu ihr gebeugt und sie verständnislos gefragt:
WO unten?“
Im Erdgeschoss?
Im Keller??
Oder etwa noch tiefer: In der Hölle???
Natürlich war mir klar, was sie mit da unten meinte. Nur war mir nicht klar, warum sie es so sagte, als sei es etwas Verbotenes? Warum sie Vulva Shaming betreibt?
Die Scham vor dem Intimbereich
Alles auf der Welt hat einen Namen. Alles, was wir kennen, ja selbst alles, was wir uns ausgedacht haben oder von dessen Existenz wir noch nicht genau wissen. Es gibt Zauberer wie Harry Potter, es gibt Hobbits, es gibt die String-Theorie. Und obwohl es diese Dinge nicht gibt (oder der Beweis dafür noch aussteht), und sie einfach nur der Fantasie (oder Genialität) eines Menschen entsprungen sind, ist es uns keineswegs peinlich, darüber zu reden. Nein, es gibt sogar Menschen, die Debatten über Hobbits oder Harry Potter führen, als wären diese real.
Aber ist es fair, dass ein Hobbit zwar einen Namen hat, der ohne weiteres ausgesprochen werden kann, aber nicht das weibliche Lustzentrum?
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Die vielen Namen der Pussy
Wobei es ja nicht so ist, als gäbe es keinen Namen. Nein – sie hat einen Namen, um genau zu sein hat sie verdammt viele Namen.
Je nachdem, welchen Teil wir bezeichnen wollen, gibt es da beispielsweise Vulva (außen) und Vagina (innen). Es gibt übergreifende Begriffe wie Pussy, Muschi, Möse oder Yoni, die nicht genauer beschreiben, welchen Teil des weiblichen Geschlechts sie meinen, und somit vielseitig verwendet werden können.
Darum ist der Begriff “Scheide” out
Manche sprechen auch von ihrer Fotze und meinen das ganz und gar nicht abwertend. Etwas veraltet und möglicherweise nicht mehr ganz der Zeit dienlich, aber doch sehr bekannt ist der Begriff der Scheide. Der Begriff Scheide bedeutet jedoch: Behälter für Klingenwaffen. Also ehrlich, welche Frau will die Aufgabe ihres Tempels erst durch einen Penis erfüllt sehen?
Doch es gibt auch Neologismen. Um beispielsweise das „Problem“ zu umgehen, dass für außen und innen zwei verschiedene Begriffe gebraucht werden, kann man diese auch zusammenfügen und mit Vulvina einfach beides meinen.
Schluss mit Scham(lippen)
Neben diesen Neuschöpfungen versucht man außerdem, bestimmte Begriffe umzudeuten. Wie z. B. den „Schambereich“, denn: Es gibt dort nichts, wofür wir uns schämen sollten. Aus den Schamlippen werden also Vulvalippen, aus dem Schambein der Venushügel und aus dem Schambereich einfach Lustzentrum.
Kurzum, “sie” hat viele Namen. Und sie hört auf fast alle. Nur bin ich mir ziemlich sicher, auf „da unten“ hört sie nicht.
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Vulva Shaming macht sprachlos
Kann ein Körperteil wirklich so beschämend sein, dass man es nur mit der ungefähren Richtung benennen kann, in der es sich befindet? Ist es wirklich so schlimm, ihr einen eigenen Namen zu geben?
An dieser Stelle ein Zitat aus Harry Potter: „Angst vor einem Namen macht nur noch größere Angst vor der Sache selbst“. Hintergrund ist, dass in dem Fantasy-Roman nahezu niemand den Bösewicht Lord Voldemord bei seinem Namen nennt. Stattdessen ist er bekannt als: „Der, dessen Name nicht genannt werden darf“.
Und auch, wenn diese magische Welt nur ausgedacht ist, steckt in diesen Zeilen doch sehr viel Wahres. Wir sollten uns diese Worte lieber zu Herzen nehmen, um nicht demnächst noch von „der, deren Name nicht genannt werden darf“ zu sprechen, wenn wir eigentlich unser Lustzentrum meinen.
Woher kommt Vulva Shaming?
Doch woher kommt diese Scham vor der Vulva? Ich gehe mal davon aus, dass sich meine Freundin nicht vor mir schämt, immerhin teilen wir so viele Geheimnisse und Peinlichkeiten miteinander. Wenn das Problem also nicht bei unserer Freundschaft liegt, dann muss es tiefer gehen. (Tiefer als da unten.) Dann bedeutete das, dass sie sich nicht vor mir schämte – sondern vor sich selbst.
Was macht so ein Verhalten mit unserer Selbstliebe? Wie können wir selbstbewusst und mit hocherhobenem Haupt durch die Welt gehen, wenn wir einen so wichtigen Teil von uns als etwas betrachten, wofür man sich schämen muss? Wie kann ich verlangen, dass andere mich akzeptieren, wenn ich das selbst nur bis zum Nabel tue?
Wie findest du dein Vulva-Wort?
Ich glaube fest daran, dass wir erst lernen müssen, uns selbst richtig zu lieben, bevor wir das von anderen verlangen können. Auch deshalb, um unseren Selbstwert nicht von anderen abhängig zu machen.
Das Lustzentrum hat viele Namen und die sollten wir aussprechen können. Denn leider kann sie nicht für sich selbst sprechen – und so müssen wir das übernehmen.
Egal, welchen Begriff du für dich selbst wählst, sei es Vulva und Vagina, sei es Mumu, Muschi, oder etwas Härteres, wie z. B. Fotze – solange du dich selbst damit wohlfühlst, ist alles erlaubt.
Stolz statt Scham
Und wenn du noch keinen Begriff hast? Dann suche dir einen aus. Stell dich täglich einmal vor den Spiegel und sprich diesen Namen aus. Nur vor dir, in deinem Safe Space. Fühl in dich rein, ob es der passende Name für dich ist. Übe, die Scham und Unsicherheit auszuhalten, bis sie vergeht. Mach dir nichts draus, wenn es ein bisschen dauert, bis du Mumu oder Pfötzchen locker über die Lippen kriegst, immerhin ist noch keine Meisterin vom Himmel gefallen.
Auch ich habe eine Weile gebraucht, bis ich ohne Scham über mein Lustzentrum sprechen konnte. Doch so wurde aus meinem Schambereich endlich ein Stolzbereich.
Jule Beck hat ursprünglich Germanistik studiert, ist aber derzeit im Umweltschutz tätig.
Durch ihre Begeisterung für Bücher stieß sie irgendwann auf das Thema Sexualität und Körper. Seitdem setzt sie sich immer mehr für einen offeneren Umgang ein, damit jede:r die Möglichkeit findet, Sexualität in ihrer ganzen Vielfalt ohne Scham aus- und erleben zu können.