Alle reden über Sex, doch die wenigsten Paare haben richtig guten Sex. Im Lockdown besteht nun die Chance, dass sich Paare wieder näherkommen und ihrer Sexualität neues Leben einhauchen. Liebescoach und Autor Volker Schmidt hat ein paar interessante Ideen dazu. Im ersten Teil des Interviews geht es um die Einstellung und den Mut, sich zu zeigen.
Lieber Volker, man könnte böse meinen: Alle reden über Sex, doch die wenigsten haben ihn. Was ist für Dich eigentlich „guter Sex“?
(lacht) An dieser Frage sind schon viele gescheitert…
In Deinem Buch widmest du ihr fast 50 Seiten. Jetzt mal raus mit der Sprache!
Im Grunde handelt „untervögelt“ von nichts anderem als davon, wie wir es schaffen können, einen natürlichen und unverkrampften Zugang zu unserer Sexualität zu finden. Das Empfinden sexueller Fülle hat derart immense – und zwar immens positive – Auswirkungen auf unser körperliches wie psychisches Immunsystem, auf unsere Einstellung uns selbst und dem Leben gegenüber, sogar auf unsere Attraktivität, Intelligenz und unsere sozialen Kompetenzen, dass wir alle sehr gut daran täten, diesem Thema einen hohen Platz auf der Prioritätenliste des eigenen Lebens einzuräumen.
Auf dieser Prioritätenliste nehmen oft andere Dinge Raum ein. Arbeit, Kinder, gemeinsame Freizeitaktivitäten, die Renovierung der Wohnung. Tatsächlich hat bei vielen Paaren der Sex keinen eigenen Platz.
Mich wundert das nicht. Die wenigsten von uns haben bislang je erfahren, wie viel Tiefe, wie viel Glückseligkeit und Verbundenheit, wie viel Freude und Erfülltheit für uns durch liebevolle und bewusste sexuelle Begegnung erfahrbar werden kann. Viele Paare unseres Landes haben im Grunde das, was ich „Reisschleimsexbeziehungen“ nenne.

Sex-Coach
Bitte was?!?
Reisschleimsexbeziehungen. Stell dir einfach vor, das Einzige, was dein Mann kochen könnte, wäre Reisschleim. Nach ein paar Jahren kennst du alle Varianten von Reisschleim. Du kennst süßen Reisschleim und würzigen Reisschleim, kennst Reisschleim in hellgrau und dunkelbeige … Wie begeistert würdest du nun wohl reagieren, wenn dein Mann, sich stolz vor dir aufbaut und sagt: „Heute, Schatz, koche ich!“
Wohl eher … wenig begeistert …
Genau das ist meiner traurigen Auffassung nach zurzeit die bittere Realität in vielen deutschen Schlafzimmern. Sein wir doch ehrlich mit uns selbst! Die meisten von uns haben bislang niemals wirklich erfahren, was an sexueller Glückseligkeit überhaupt möglich ist. Manchen erscheint gar die Wortkombi „sexuelle Glückseligkeit“ ein bisschen hoch gegriffen. Meines Erachtens ein sicheres Zeichen für einen bisher vermutlich eher dürftigen Erfahrungsschatz.
Was können wir tun, um im Schlafzimmern von der Reisschleimmonotonie zum 5-Gänge-Menü zu kommen?
Innehalten.
Innehalten?
Ganz genau. Innehalten. Es gilt nämlich ein paar ziemlich grundlegende Entscheidungen zu treffen. Das Interessante ist hierbei: In diesen grundlegenden Entscheidungen geht es überhaupt nicht um Dinge, die wir tun können. Es geht nicht um unsere Handlungen, sondern um unsere Grundhaltung dahinter. Nicht das, was wir tun, macht den Unterschied, sondern die innere Haltung, mit der wir tun, was wir tun.
Hast du ein konkretes Beispiel für das, was du meinst?
(lacht) Dutzende! Aber vielleicht kann ich das, was ich meine, in einem kleinen Gedankenspiel verdeutlichen: Stell dir vor, dein Mann widmet sich mit Händen, Mund und Hingabe deiner Lust. Er küsst, leckt und streichelt dich ausgiebig, bis du kommst.
Dieser Beispiel-Mann gefällt vielen Frauen wohl besser als der Reisschleim-Mann!
Okay! Jetzt stell dir vor, du hättest in dieser Situation die Wahl, mit welcher Haltung er sich deiner Befriedigung widmet. Im ersten Fall tut er es, damit du endlich Ruhe gibst und er in Ruhe einschlafen kann. Im zweiten Fall tut er es aus eigener Freude an deiner Lust. Er genießt es mit Leib und Seele, dir eine Lustwelle nach der anderen zu bescheren, bis dir die Muttersprache verloren geht und du dich in reiner Hingabe auflöst.
Nochmal: In beiden Fällen tut dein Mann exakt dasselbe, lediglich seine Haltung dahinter ist eine andere. Die spannende Frage ist jetzt: Würde dieser Unterschied einen Unterschied machen oder nicht?

Was für eine Frage! Selbstverständlich!
Das ist es, was ich meine. Nicht das, was wir miteinander tun, entscheidet über die Qualität unserer sexuellen Erfahrungen, sondern die innere Haltung, in der wir uns selbst und einander in der Lust begegnen, offenbaren und erforschen.
Das ist übrigens so ein weiterer Punkt, an dem wir uns selbst nur allzu gerne furchtbar unnötig im Wege herumstehen: Wir glauben, wir wüssten Bescheid, wie die Sache mit dem Sex so läuft. Wir halten uns für Expert*innen oder gar Naturtalente. Darum kommen wir gar nicht auf die Idee, dass wir bislang möglicherweise nur an der Oberfläche gekratzt haben könnten…
Wie kommen wir tiefer als das?
Es könnte an der Zeit für ein paar grundlegende Entscheidungen sein. Eine davon könnte vielleicht lauten: „Will ich mich oder will ich mich nicht in meinem Leben immer wieder auf sexueller Ebene zutiefst satt und genährt fühlen?“ Sollte die Antwort darauf ein „Ja“ sein, dann ist es an der Zeit für die nächste knackige Frage. Und zwar: „Bin ich gewillt oder bin ich nicht gewillt, die volle Verantwortung dafür zu übernehmen, dass diese sexuelle Fülle und Genährtheit in meinem Leben einen substanziellen Platz bekommen – vielleicht sogar einen Ehrenplatz? Ja oder nein?!“
Du meinst, guter Sex ist nicht nur eine Frage der Haltung, sondern auch der Entschiedenheit?
Im Sinne eines konsequenten „Ja“ zu uns selbst, zu unserem einzigen Leben und, wenn vorhanden, nicht zuletzt einem konsequenten „Ja“ zu unseren Liebespartnerinnen oder -partnern.
Aber das ist doch nicht alles …!
Natürlich nicht. Nichtsdestotrotz ist diese Entschiedenheit zum eigenen Glück in meinen Augen das Fundament, auf dem das Empfinden sexueller Fülle sicher fußt. Erfüllender und erfüllter Sex aber ist nicht nur eine Frage der Haltung mir selbst gegenüber, sondern gleichgewichtig eine Frage der Haltung gegenüber meinem, meiner oder aber auch meinen Liebsten. Hier stolpern wir aber wieder über einen furchtbar klebrigen Fallstrick. Die meisten sogenannten „Liebespartnerschaften“ sind in meinen Augen genau dies gerade nicht: Partnerschaften! Da wird gelogen und verheimlicht, getrickst und manipuliert, dass sich die Balken biegen. „Partnerschaft“ aber heißt ja: „sich gemeinsam an einem höheren Ziel oder Wert ausrichten“. Wie soll das möglich sein, wenn wir einander zugleich beständig manipulieren oder täuschen? Oder besser: Das geht natürlich schon, wenn man es so haben will, das sieht man ja oft, aber das geht dann halt auf Dauer meistens nicht besonders gut.
Ein wichtiges Thema ist also Vertrauen, Ehrlichkeit und der Mut, sich zu zeigen?
Vertrauen ist in meinen Augen existenziell, und zwar sowohl für unsere Liebesbeziehungen (oder gar -partnerschaften!) an sich, insbesondere aber auch für die Tiefe unserer sexuellen Erfahrungen, die wir miteinander machen. Und damit meine ich ausdrücklich sowohl das Vertrauen in die anderen Menschen als auch unser eigenes Vertrauen in uns selbst, in unseren Körper und immer wieder in unsere Fähigkeiten, mit emotional angespannten Situationen liebevoll und wohlwollend umzugehen. So absurd dies auch klingt: Ich glaube, die Basis unzähliger sogenannter Liebesbeziehungen ist derzeit nicht Kooperation, sondern eine subtile oder auch ganz offensichtliche Konkurrenz zueinander. Im Schatten einer solchen Haltung kann die Sexualität zwangsläufig nur ein verkümmertes Dasein führen.
Und? Wenn dem so wäre? Wie kämen wir da wieder raus?
Das ist ein Fall für KMG!
Oh, toll! Eine Abkürzung … Löst du das auch auf?
Es gibt eine Grundhaltung, zu welcher ich die Menschen zu verführen suche: Ich nenne sie: „KMG“. Die Abkürzung steht für: „Kooperative zur Mehrung des gegenseitigen und gemeinsamen Glücks“.
Das klingt super schön: „Mehrung des gegenseitigen und gemeinsamen Glücks“!
Im Grunde versteckt sich dahinter ein ganz schlichter Pragmatismus. Ich sage es mal so: Wenn ihr zwei Hübschen schon eine emotionale und/oder sexuelle Beziehung miteinander führt, warum macht ihr dann nicht auch das wirklich Bestmögliche daraus? Ihr könntet euch als Partner*innen in gemeinsamer Sache verstehen. Warum solltet ihr eure erotischen Begegnungen nicht dazu nutzen, wirklich das Maximum an Freude, Wonne und Lust aus euch selbst und auseinander herauszukitzeln?!
Gerade wenn es über das Schlafzimmer hinaus auch noch andere Dinge gibt, die uns verbinden wie gemeinsame Kinder, gemeinsame Freunde oder gemeinsame Hobbies, wäre es da nicht ein ganz besonderer Boost, wenn wir nicht nur Partner im Leben wären, sondern auch Komplizen in der Lust?
Du redest von wirklich sehr grundlegenden Dingen.
Ich sage, es hilft nichts, in der Kür punkten zu wollen, solange wir die Basics nicht beherrschen. Wer keine Übung darin hat, liebevoll und wohlwollend über die eigenen und anderen Empfindungen, Wünsche oder Ideen zu sprechen, wird es schwer haben, das Thema „sexuelle Wünsche oder Sehnsüchte“ in die eigene Beziehung einzubringen. Beziehungen, in denen es keine Kultur des partnerschaftlichen Umgangs mit unerwarteten Herausforderungen gibt, nehmen in dem emotionalen Minenfeld, das die Sexualität für viele von uns bei Lichte betrachtet leider ist, erheblichen Schaden. Über kurz oder lang übernimmt die Resignation die Regie. Ihr das Steuer abzunehmen, ist oft der erste Schritt. Das aber ist leichter gesagt als getan. Hat die Resignation eine Beziehung befallen, gelingt dieser Kraftakt nur zu zweit.
Was können wir tun, wenn die Resignation von unserer partnerschaftlichen Sexualität Besitz ergriffen hat? Lies weiter! Dies und mehr erfährst Du im zweiten Teil des Interviews …

Tina Molin arbeitet seit über 20 Jahren als Journalistin. Dann wurde sie Mutter – und plötzlich war ihre Lust weg. Daraus folgte der Blog „Happy Vagina“ und das Interesse an weiblicher Sexualität & Lust. Im Mai 2021 erschien ihr Buch „Endlich wieder Lust auf Sex“ (Goldmann Verlag). Tina arbeitet als Mentorin und begleitet Frauen in ihr lustvolles Leben. Sie schreibt die Kolumne „Sex ab 40“ für Stern und lebt mit Mann und Kind in Berlin. (Foto: Verena Berg)