Alle reden über Sex, doch die wenigsten Paare haben richtig guten Sex. Im Lockdown besteht nun die Chance, dass sich Paare wieder näherkommen und ihrer Sexualität neues Leben einhauchen. Liebescoach und Autor Volker Schmidt hat ein paar interessante Ideen dazu. Im zweiten Teil des Interviews geht es um einen konstruktiven Umgang mit Vorwürfen und Verletzungen.
Bitternis, Vorwürfe, Schweigen, emotionaler Rückzug… Gerade in der Quarantäne während der Corona-Krise zeigen sich alte Wunden oft wie im Brennglas. Wie wird aus grimmiger Anspannung wieder eine liebevolle sexuelle Entspannung?
Durch zwei Dinge: Erstens durch den Mut, uns einander ebenso wie auch uns selbst in allem, was in uns ist, zu offenbaren. Zweitens durch die innere Bereitschaft, auch ihn oder sie in all seinen oder ihren Empfindungen, Wünschen oder Sehnsüchten zu erfahren und anzunehmen. Jede Partnerschaft basiert auf Vertrauen. Um vertrauen zu können, müssen wir wissen, mit wem wir es eigentlich zu tun haben. Den besten Sex ebenso wie die besten Beziehungen haben diejenigen Menschen, die miteinander zu 100 % ehrlich sind.
Vollkommen ehrlich? Das könnte bei einigen wohl mächtig Sprengstoff beinhalten.
Ehrlich gesagt: Und wenn schon! Was genau würde denn durch diesen Sprengstoff schlimmstenfalls kaputtgehen? Doch wohl nur Beziehungen, in denen die sogenannten „Partner“ sich seit Jahren gegenseitig verletzen, ignorieren, anlügen oder manipulieren. Ich persönlich fände es ja nicht allzu schlimm, wenn wir von dieser Art von Beziehungen in Zukunft ein paar weniger hätten als heute.

Sex Coach
Was macht man, wenn das Gespräch in die falsche Richtung läuft? Wenn es eine Ansammlung von Vorwürfen wird?
Wenn wir bemerken, dass wir in einer Schlammschlacht stecken, dann haben wir die Wahl: Entweder wir können unsere Partnerin oder unseren Partner dafür beschimpfen, dass dem so ist, ihn oder sie anklagen und beschuldigen. Oder aber wir erkennen, dass wir beide gerade hinter unseren vordergründigen Attacken aufeinander zutiefst verletzt oder verunsichert sind. Wir könnten erkennen, dass es uns beiden gerade echt nicht gut geht, dass wir uns beide danach sehnen, uns liebevoll gesehen und angenommen zu fühlen. Der Ausstieg aus dem Täter-Opfer-Spiel wird möglich, wenn wir bereit sind, uns wirklich ineinander einzufühlen. Wenn wir erkennen, dass es in diesem Streit weder Schuld noch Täter gibt, sondern nur zwei Verletzte, halbblind vor Schmerz.
Du deutest es schon an. Diese Art von Einsicht ist manchmal nicht so leicht, wenn man selbst oder der*die andere seiner*ihrer Wut und Verletztheit kocht.
Jetzt kommt der Clou, aber der zieht halt nur, wenn wir uns selbst gegenüber zuvor ein klares Commitment gegeben haben (siehe erster Teil des Interviews): Selbst wenn der oder die andere es gerade nicht schafft, liebevoll und wohlwollend mit uns umzugehen, so hält uns nichts (außer falsch verstandener Stolz vielleicht) davon ab, uns dazu zu entscheiden, ihn oder sie dennoch liebevoll und wohlwollend zu behandeln. Und zwar ganz allein darum, weil wir es uns selbst geschworen haben, mit diesem Menschen, liebevoll und wohlwollend umzugehen, als Verbündete in gemeinsamer Sache.
Und wenn der andere nicht mitzieht, sondern im Vorwurfsmodus bleibt?
Es ist ziemlich schwer, einem Menschen gegenüber, von dem wir uns wirklich liebevoll gesehen und geachtet fühlen, länger als ein paar Minuten rasenden Zorn zu empfinden. Mitgefühl und Wohlwollen sind ebenso ansteckend wie Zorn oder Groll. Das unterschätzen wir oft. Das gilt allerdings nur, solange dieses Mitgefühl und Wohlwollen auch durch und durch echt sind. Gerade in emotional aufgewühlten Zuständen reagieren wir schließlich sehr fein auf kleinste Inkonsistenzen in Sprache und Mimik. Haben wir den Eindruck, unser Gegenüber ist nicht ganz echt und authentisch, reagieren wir in aller Regel recht direkt mit einer Verhärtung unserer Positionen. Gegen den Eindruck wahrhaftigen und entschlossenen Mitgefühls und Wohlwollens jedoch haben Zorn und Groll einen schweren Stand. Wir machen uns auch dies nur selten bewusst.

Und zum Schluss: ein famous last word.
Ist vielleicht auch noch Platz für zwei? Ich fasse mich auch kurz!
Na dann los!
Mein erstes famous last word ist „Un-Verschämtheit“. Lassen wir uns folgende pragmatische Erkenntnis auf der Zunge zergehen: Was unseren Partner oder unsere Partnerin oder uns erregt, haben weder er oder sie noch wir selbst uns ausgesucht. Das bedeutet: Was uns erregt, dafür sind wir nicht verantwortlich. Keine*r von uns. Wofür wir allerdings verantwortlich sind, ist was wir aus diesem Wissen machen. Wir können uns selbst oder einander dafür anklagen oder belächeln. Diese Wahl steht uns selbstverständlich offen. Wir haben aber auch die Wahl, dieses Wissen über uns selbst und einander dafür zu nutzen, ebenso uns selbst wie auch einander immer wieder wunderschöne Gefühle zu bescheren. Mein Tipp lautet nur: Nutzt diese Wahl und nutzt sie weise.
Und dein zweites famous last word?
Heißt „Lust“. Auch hier geht es darum, zu erkennen, dass wir eine Menge Wahlmöglichkeiten haben – und diese bewusst und in unserem Sinne zu nutzen. Für manche Menschen ist erotische Lust etwas, das sich quasi zufällig einstellt oder halt nicht. Sie haben jetzt gerade Lust. Oder halt nicht. Das ist halt so bei ihnen. Da können sie nichts dran drehen. Und ich will ihnen da auch nicht reinquatschen. Andererseits jedoch gibt es Menschen, die in ihrer Lust etwas sehen, das sie aktiv und bewusst hervorrufen, gestalten und formen können. Sie können ihre Lust und ihre sexuelle Erregung gezielt wecken, nähren und vermehren. Sie schenken ihr Liebe, Aufmerksamkeit und Zeit, sodass sie unter ihren Händen wie in ihrem Leben gedeiht und blüht. Die eigene Lust ebenso wie die ihrer Partnerin oder ihres Partners. Ich will nicht sagen, dass die zweite Gruppe von Liebenden alles besser macht als die Erste, aber sie hat mit großer Sicherheit mehr Spaß an ihrer Beziehung und ihrem Leben. Auch hier empfehle (und wünsche) ich uns allen daher eine kluge und bewusste Wahl.
Ich danke dir, Volker!
Es war mir eine Freude, Tina!
Was können wir sonst noch tun, wenn die Resignation von unserer partnerschaftlichen Sexualität Besitz ergriffen hat? Lies weiter! Dies und mehr erfährst Du im ersten Teil des Interviews…

Tina Molin arbeitet seit über 20 Jahren als Journalistin. Dann wurde sie Mutter – und plötzlich war ihre Lust weg. Daraus folgte der Blog „Happy Vagina“ und das Interesse an weiblicher Sexualität & Lust. Im Mai 2021 erschien ihr Buch „Endlich wieder Lust auf Sex“ (Goldmann Verlag). Tina arbeitet als Mentorin und begleitet Frauen in ihr lustvolles Leben. Sie schreibt die Kolumne „Sex ab 40“ für Stern und lebt mit Mann und Kind in Berlin. (Foto: Verena Berg)